Die Initiative wissenschaftlichernachwuchs.de hat sich im Dezember 2000 gegründet, um auf die Konsequenzen der geplanten Änderung des Hochschulrahmengesetzes für Privatdozent/inn/en, Habilitand/inn/en und wissenschaftliche Mitarbeiter/innen hinzuweisen. Ihre Resolution "Lost Generation?", die sich gegen die Hochschulreform in der jetzigen Form wendet, wurde bereits im Mai 2001 von 3.000 Nachwuchswissenschaftler/inne/n unterschrieben und an Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn übergeben. Ende Januar 2002 wird die Initiative durch knapp 6.000 Unterschriften unterstützt. Damit ist wissenschaftlichernachwuchs.de die größte Initiative dieser Art in Deutschland.
Seit dem Mai 2001 liegt ein Regierungsentwurf zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes vor. Es ist geplant, das Fünfte Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes im Januar 2002 den Bundestag passieren zu lassen. Das Gesetz wird, zusammen mit der Neuordnung der Besoldung für Hochschullehrer, den Hochschullehrerberuf völlig neu strukturieren. Qualifikationswege, Altersstruktur und Gehalt werden neu gestaltet.
Die expliziten und impliziten Grundsätze, denen der Entwurf folgt, lassen sich wie folgt beschreiben und einer ersten Bewertung unterziehen:
1. Frühere Selbständigkeit des wissenschaftlichen Nachwuchses; es ist eine Beschleunigung der Qualifikationsphase angezielt, gegebenenfalls unter Inkaufnahme eines absinkenden Qualifikationsniveaus. Der/die promovierte Juniorprofessor/in soll selbständige/r und gleichberechtigte/r Hochschullehrer/in sein. Er/sie befindet sich aber noch in der Qualifikationsphase. Die damit sich ergebenden Abhängigkeiten versucht der Entwurf dadurch abzuschwächen, daß die Frage, ob der/die Nachwuchswissenschaftler/in für eine ordentliche Professur qualifiziert ist, von der aufnehmenden Institution und nicht mehr, wie bisher, von der abgebenden entschieden wird.
2. Generell zielt der Entwurf auf eine Verjüngung der Hochschullehrerschaft und auf eine verstärkte Fluktuation, besonders beim Nachwuchs. Dabei baut der Entwurf auf eine Durchlässigkeit zwischen der Hochschule und dem außeruniversitären Arbeitsmarkt, die nur in manchen Fächern gegeben ist. Für welchen Markt all diese Nachwuchswissenschaftler/innen produziert werden sollen, die laut Entwurf die Adressaten der Reform sind, wird aber nirgends explizit formuliert. In mancher Hinsicht macht der Gesetzesentwurf den Eindruck, als ob Wissenschaft hauptsächlich unter dem Aspekt einer sehr kurzfristig konzipierten Zulieferfunktion für die Wirtschaft gesehen wird. Das ökonomische System ist dabei unter den längst problematisch gewordenen Voraussetzungen einer florierenden New Economy gedacht, die unbegrenztes Wachstum zu versprechen schien.
3. Der Entwurf geht von Knappheit und nicht von Überfluß bei der Stellennachfrage aus. So findet sich eine ganze Reihe von Bestimmungen, die die Berufung von Professor/inn/en erleichtern, selbst wenn diese die vorgesehenen Qualifikationswege noch nicht durchlaufen haben – bis hin dazu, daß die Berufung von soeben Promovierten auf ordentliche Professuren ermöglicht wird. Es finden sich aber keine Überlegungen, wie mit einem etwaigen Überhang umgegangen werden soll. Wenn Juniorprofessoren und –innen nach Abschluß ihrer Beschäftigungszeit nicht auf eine ordentliche Professur berufen worden sind, müssen sie gemäß den vorgesehenen Regelungen (Höchstbeschäftigungsdauer) die Universität verlassen, unabhängig von ihrer Qualifikation. Eine generelle Schlagseite hat der Entwurf dahingehend, daß durch seine Bestimmungen die Generation des gegenwärtigen wissenschaftlichen Nachwuchses, d.h. derjenigen, die frisch habilitiert sind oder sich in den nächsten Jahren habilitieren, im ganzen benachteiligt wird. Das ist deshalb der Fall, weil alle übergangsweisen Beschäftigungsmöglichkeiten (C2, Projektstellen) abgeschafft werden und weil die Juniorprofessuren auch aus dem Bestand derjenigen unbefristeten Stellen finanziert werden sollen, auf die sich sonst Habilitierte hätten bewerben können.
4. Wie die vorgesehene Reform der Besoldungsordnung sieht auch dieser Entwurf vor, Wettbewerbs- und Leistungskriterien verstärkt zu berücksichtigen, wozu Evaluationen dienen sollen. Diese Leistungskriterien werden aber nirgends explizit benannt. Ebensowenig wird die Frage behandelt, wer diese Leistung messen soll. Dem Wettbewerb wird nur in eingeschränktem Maße ein Platz zugesprochen; so scheint es beispielsweise, als ob dem (jugendlichen) Alter ein Wert an sich zugesprochen wird, der nicht mehr in Beziehung gesetzt wird mit Erfahrung. Der Wettbewerb junger WissenschaftlerInnen mit älteren wird durch die Höchstbeschäftigungsdauer beschränkt.
5. Der Entwurf spricht von Kostenneutralität; es wohnt ihm aber eine Dynamik inne, die Kosten dadurch zu reduzieren, daß man die Aufgaben von billigeren Kräften erledigen läßt. Die Aufgabenbeschreibung der Juniorprofessor/inn/en ist so abgefaßt, daß sie Spielraum zur Kürzung bei ordentlichen Professuren gibt, weil deren Aufgaben auch von Juniorprofessor/inn/en erledigt werden können. Ohnehin sollen diese neuen Stellen teilweise aus dem Bestand der ordentlichen Professuren finanziert werden.
6. Der Entwurf geht vom Denkmodell der Natur- und Ingenieurwissenschaften aus und kommt ihren Qualifikationserwartungen entgegen, etwa in der Flexibilisierung der Qualifikation und der Überflüssigmachung der Habilitation. Daß die Vergabe der Juniorprofessuren bei der Hochschulleitung liegt und die Stellen nicht mehr an die Fakultäten angebunden sind, kann auf die Dauer zu einer Austrocknung der sozial- und kulturwissenschaftlichen Fächer führen.
Das Gesetz, so wie es jetzt geplant ist, hat weitreichende Auswirkungen auf den gegenwärtigen und zukünftigen wissenschaftlichen Nachwuchs. Wissenschaftlichernachwuchs.de konzentriert sich im folgenden Kommentar auf diejenigen Bestimmungen des Entwurfs, die in dieser Hinsicht von besonderer Bedeutung sind. Dabei wird zunächst die Regelung beschrieben; danach werden die intendierten sowie nichtintendierten Konsequenzen untersucht und Härten gegenüber einzelnen Gruppen aufgeführt. Schließlich werden Alternativvorschläge gemacht.
Der Gesetzesentwurf ist in vielen Teilen ausgesprochen vage gehalten.
Er enthält aber eine Begründung des Ministeriums, die in vieler
Hinsicht auch eine Erläuterung ist, welche die unbestimmten Äußerungen
präzisiert. Darüber hinaus hat das Ministerium "Antworten auf
häufig gestellte Fragen" veröffentlicht. Im folgenden wird davon
ausgegangen, daß es sich bei beiden Texten um eine autoritative Ausdeutung
des Gesetzestextes handelt. Die Begründung und die "Antworten" werden
deshalb in die Interpretation einbezogen. Paragraphen und Seitenzahlen
beziehen sich auf den "Regierungsentwurf" vom 30.05.01, der den Gesetzesentwurf
und die Begründung enthält.
Damit wird faktisch die Habilitation als Qualifikationsvoraussetzung für eine Professur abgeschafft. Regelvoraussetzung für eine Berufung ist allein die Juniorprofessur. Gleichzeitig aber macht der Kommentar zum Regierungsentwurf deutlich, daß es weiterhin alternative Wege zur Berufung auf eine Professur geben soll. Unter den möglichen Ausnahmen findet sich die Habilitation jedoch nicht mehr:
Mit geplanten 6.000 Juniorprofessuren soll der Nachwuchsbedarf an ordentlichen Professuren (derzeit ca. 20.000) voll gedeckt werden (bei einer jährlichen Nachbesetzungsquote von 4 %: S. 24). Und dennoch soll es alternative Wege zur Professur geben. Die Sprecher des Philosophischen, des Mathematisch-Naturwissenschaftlichen, des Juristischen und des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultätentags haben darüber hinaus bereits erklärt, daß sie weiterhin an der Habilitation als Einstellungsvoraussetzung festhalten würden. Da die Habilitation aus rechtlichen Gründen nicht förmlich verboten werden kann, ist damit zu rechnen, daß sie trotz der offiziellen Entwertung inoffiziell von Bedeutung bleibt. Besonders in denjenigen Fächern, welche die Habilitation weiterhin für eine zwingende Voraussetzung halten, wird vermutlich der Weg des/r Wissenschaftlichen Mitarbeiters/in zur Habilitation genutzt werden. Damit entsteht eine Konkurrenz zwischen Juniorprofessur und alternativen Wegen, die leicht zu einer Konkurrenz zwischen Lehre und Forschung werden kann. Es wird nach der jetzigen Regelung wie bisher zu einer systematischen Überproduktion von qualifiziertem Nachwuchs kommen. Welche Gruppe davon profitiert, ist derzeit nicht abzusehen; die Begründung zum Gesetzesentwurf geht aber davon aus, daß in vielen Fächern die Juniorprofessur ohne politische Vorgaben nicht angenommen würde (S. 30). Politisch soll also durchgesetzt werden, was von der Wissenschaft nach der Einschätzung des BMBF nicht angenommen würde. Es stellt sich die Frage, ob damit eine Basis geschaffen ist, dem Modell auf die Dauer Akzeptanz zu verschaffen.
Der Entwurf sieht eine Reihe von Möglichkeiten vor, die Berufung auf ordentliche Professuren zu erleichtern. So sollen Juniorprofessor/inn/en sich während ihrer Dienstzeit auf ordentliche Professuren bewerben können; bei besonders gut Qualifizierten ist eine solche Berufung auch ohne eine Juniorprofessur möglich, in Ausnahmefällen sogar unmittelbar im Anschluß an die Promotion (S. 40). Dagegen fehlen Überlegungen, wie mit einem Überangebot an qualifizierten Bewerber/inn/en umzugehen sei; stattdessen wird davon ausgegangen, daß ein solches mit der Juniorprofessur ausgeschlossen werde, denn es ist nicht an eine befristete Weiterbeschäftigung nach Beendigung der Juniorprofessur gedacht. Das widerspricht der Darlegung im selben Text, der weiterhin verschiedene Wege zur Professur ermöglicht. Aus diesem Grund ist bei der Zahl der anvisierten Juniorprofessuren sogar damit zu rechnen, daß auch sie in großer Zahl keine Professur erhalten werden. Wissenschaftlichernachwuchs.de weist darauf hin, daß damit das erklärte Ziel nicht erreicht wird, das Selektionsalter vorzuverlagern. Mit der gegebenen Uneindeutigkeit ist vielmehr damit zu rechnen, daß, wie bisher auch, Nachwuchswissenschaftler/innen so lange im System verbleiben, bis sie zu alt sind, um noch eine andere Berufsentscheidung zu treffen.
Der Entwurf entwirft eine relativ genaue Zielvision für die Zeit
nach der Umstellung (ab 2010). Er trifft aber keine Vorkehrungen für
die Zeit während der Umstellung. Das bezieht sich insbesondere
auf diejenigen, die im Moment als Habilitierende oder noch nicht etatisierte
Privatdozenten tätig sind, aber auch auf diejenigen, die in drei bis
sechs Jahren als zwischen-evaluierte bzw. abgeschlossene Juniorprofessor/inn/en
auf den Markt kommen. Für sie müssen Übergangsregelungen
geschaffen werden, um sie nicht vorzeitig aus dem System zu treiben. Insbesondere
die lange Zeitspanne von Bewerbungsphase und Berufungszeit ist dabei in
Rechnung zu stellen. (Berufungsverfahren dauern heute bis zu drei Jahre,
Gesamtwartezeiten von bis zu fünf Jahren, unabhängig von der
Qualifikation, sind häufig.)
Wissenschaftlichernachwuchs.de befürwortet ausdrücklich
die Einführung von Juniorprofessuren. Wir weisen aber zugleich darauf
hin, daß es nicht im Sinn der Reform sein kann, die Förderung
des zukünftigen Nachwuchses auf Kosten des gegenwärtigen Nachwuchses
durchzuführen. Wissenschaftlichernachwuchs.de weist außerdem
darauf hin, daß die Gefahr gegeben ist, daß ordentliche Professuren
zugunsten der billigeren Kategorie der Juniorprofessuren gestrichen werden
und die Juniorprofessur damit zu einer schleichenden Auszehrung des ordentlichen
Stellenbestandes führt. Die Initiative schlägt deshalb vor, die
jetzigen C2-Stellen für Oberassistenten und Hochschuldozenten entsprechend
ihrer jetzigen Lehr- und Prüfungsverpflichtungen als entfristete W2-Stellen
auszuweisen und die Juniorprofessuren gänzlich aus dem Pool der jetzigen
C1-Stellen zu entnehmen; bei einer Gesamtzahl von etwa 15.000 derzeit vorhandenen
C1-Stellen wäre dies ohne weiteres machbar. Da die Grundausstattung
für die Juniorprofessuren aus dem Pool der freiwerdenden C3- und C4-Stellen
finanziert werden soll, wäre so sichergestellt, daß der Stellenbestand
der unbefristeten Professuren nicht übermäßig leidet.
Diese Regelung birgt in sich die Gefahr, daß Juniorprofessoren und –professorinnen lediglich zwei Jahre "geparkt" werden, um dann auf Lebenszeit berufen zu werden. Das wird aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem starken Anwachsen der Selbstrekrutierung von Fakultäten durch Hausberufungen führen.
Juniorprofessuren sind nicht einer Fakultät fest zugeordnet, sondern werden von den Hochschulleitungen je nach Bedarf und Ausrichtungsschwerpunkten vergeben.
Wissenschaftlichernachwuchs.de stimmt dem Kriterium zu, daß
die Schwelle der Selektion nach vorne verlagert werden und die Möglichkeit
bestehen soll, mit Anfang 30 auf eine Stelle zu kommen, auf der man lange
Zeit verbleiben kann. Die Gefahr der Hausberufungen und der damit verbundenen
Selbstabschließung von Fakultäten, die sich mit der jetzigen
Regelung verbindet, könnte aber nur eingedämmt – wenn auch nicht
ausgeschlossen – werden, wenn die Dauer der Tätigkeit außerhalb
der promovierenden Hochschule deutlich – etwa auf vier Jahre – ausgedehnt
wird. Noch besser wäre eine regelrechte Berufung, die grundsätzlich
von außen erfolgen und mit einem Tenure Track verbunden werden soll.
Juniorprofessuren sind fest an einer Fakultät zu verankern.
Diese Palette überfordert die Juniorprofessur ganz erheblich. Juniorprofessor/inn/en sollen damit den vollen Pflichtenkatalog eines ordentlichen Professors erfüllen und sich gleichzeitig wissenschaftlich weiterqualifizieren. Vor allem ist auf die unklare Beschreibung des Lehrdeputats zu verweisen. Mit diesem – international unüblichen – Pflichtenkatalog in einer Qualifikationsphase ist zum einen die Gefahr verbunden, daß das Niveau der Lehre deutlich abnimmt. Zum anderen ist nicht zu sehen, wie bei einer solchen Anhäufung von Pflichten die Juniorprofessoren und -innen das "zweite Buch" fertigstellen sollen, das weiterhin gefordert werden soll. Anders als der Entwurf suggeriert, ist damit zu rechnen, daß Juniorprofessor/inn/en nach sechs Jahren wieder entlassen werden, ohne die Voraussetzung der zusätzlichen wissenschaftlichen Leistungen erfüllt zu haben. Dann kann leicht sein, daß Wissenschaftliche Mitarbeiter/innen, die in einem Forschungsprojekt beschäftigt waren und hier ein Buch verfaßt haben, den Juniorprofessor/inn/en gegenüber einen Bewerbungsvorteil haben. Da die Juniorprofessur aber zur Regelerfordernis als Vorausetzung für eine Berufung auf eine ordentliche Professur gemacht werden soll (§ 44, 2), ist mit einem erheblichen Absinken der wissenschaftlichen Qualität von Professor/inn/en zu rechnen, weil vermutlich Juniorprofessor/inn/en als ordentliche Professor/inn/en berufen werden müssen, auch wenn sie nicht genügend qualifiziert sind. Und zum dritten ist damit zu rechnen, daß die erhöhten Lehr-, Prüfungs- und Drittmittelleistungen der Juniorprofessor/inn/en (im Vergleich mit den jetzigen Assistent/inn/en) dazu führen, daß ordentliche Professuren gekürzt werden, weil die Fakultäten auch ohne sie ein ausreichendes Angebot machen können.
Wissenschaftlichernachwuchs.de stimmt der Überlegung zu,
daß das Alter der beruflichen Selbständigkeit nach unten verlagert
werden soll. Da es sich aber noch um eine Qualifikationsphase handelt,
muß ein Freiraum gewährt werden, der es ermöglicht, diese
Qualifikationsleistungen auch zu erbringen. Deshalb ist kategorisch darauf
zu bestehen, daß das Lehrdeputat bei Juniorprofessoren bei maximal
vier Semesterwochenstunden liegt. Weiterhin ist im Gesetz die Möglichkeit
für Juniorprofessor/inn/en zu verankern, in mindestens demselben Ausmaß
wie ordentliche Professor/inn/en Forschungsfreisemester zu nehmen. Und
schließlich muß die Beschäftigungshöchstdauer geändert
werden, um dem/der Juniorprofessor/in die Möglichkeit zu geben, ein
schon angefangenes Buch fertigzustellen, selbst wenn der Vertrag ausgelaufen
ist.
Der Sinn dieser Begrenzungsmaßnahmen wird im Hinblick auf promovierten Nachwuchs so erläutert (S. 54):
Für die "zweite Qualifikationsphase" (Juniorprofessur, Wissenschaftliche/r Mitarbeiter/in/ Wissenschaftliche Tätigkeit außerhalb der Hochschule) sind keine Übergangsphasen eingebaut. So ist die Möglichkeit nicht berücksichtigt, daß nach Abschluß der Juniorprofessur oder nach der Habilitation der/die Bewerber/in nicht sofort eine unbefristete Professur findet. Die Erfahrung lehrt aber, daß dies fünf Jahre und länger dauern kann. Sollte die Beschäftigungshöchstdauer zu diesem Zeitpunkt schon ausgefüllt sein, dann wäre der/die Bewerber/in gezwungen, eine Beschäftigung außerhalb der Universität zu suchen, gleich wie qualifiziert er/sie wäre. Weil die Rückkehrmöglichkeit an die Universität gerade in den kultur- und geisteswissenschaftlichen Fächern äußerst gering ist, wäre die Konsequenz entweder, daß hochqualifizierte Bewerber/innen der Universität verlorengingen, oder daß die Fakultäten im Wissen um diesen Effekt die Bewerber/innen unbefristet als Wissenschaftliche Mitarbeiter/innen einstellen. Die Folge wäre ähnlich wie bei der Entfristung der C2-Stellen in den siebziger Jahren: Der Wettbewerb würde dem Versorgungsdenken weichen; dies wäre schädlich für das Qualitätsniveau an der Universität.
Der Grundsatz, daß im Interesse der Innovation das Personal regelmäßig ausgetauscht werden muß, ist unlogisch auch vor dem Hintergrund der dem Gesetzesentwurf zugrundeliegenden Philosophie: Denn zum einen müßten dann zuerst Professuren generell befristet und mit einem Höchstbeschäftigungsgebot versehen werden. Zum zweiten ist gerade vor dem Hintergrund des Wettbewerbsgedanken, den der Entwurf pflegt, nicht einzusehen, wieso nicht die frisch Promovierten sich dem Wettbewerb mit den länger an der Universität Anwesenden stellen sollen. Wenn Jugend ein Qualitätskriterium ist, dann sollte es Erfahrung auch sein. Gerade sie wird sowohl in der Forschung (besonders der naturwissenschaftlichen) und in der Lehre benötigt, vor allem jetzt, da die Umgestaltung der Studiengänge ansteht.
Die Beschäftigungshöchstgrenze schädigt insbesondere die Generation der Habilitierten und der sich in den nächsten Jahren Habilitierenden, weil für sie keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit mehr zur Verfügung steht. Die bisher nach der Habilitation zur Verfügung stehenden C2-Stellen sollen den Juniorprofessuren zugeschlagen werden, auf die sich Habilitierte in den meisten Fällen nicht mehr bewerben können. Sie können sich aber in der Regel auch nicht mehr mit Projektanträgen um Drittmittel bewerben, weil die Regelung nach § 57 sich auf jede Beschäftigung an der Universität und staatlichen Forschungsinstituten erstreckt, gleich, von wem sie finanziert ist. Die Beschäftigungshöchstgrenze ist eines der wirksamsten Mittel, um die Generation der jetzt 30- bis 45-Jährigen aus dem Wissenschaftssystem zu entfernen.
Wissenschaftlichernachwuchs.de vertritt ebenso wie das BMBF und
der Wissenschaftsrat die Ansicht, daß ein gewisses Maß an Fluktuation
die Innovation an der Universität fördert. Die Initiative unterstützt
aus diesem Grund die Möglichkeit, befristete Arbeitsverträge
abzuschließen. Die Begrenzung auf eine bestimmte Gesamtdauer, wie
der Entwurf sie vorsieht, ist aber kontraproduktiv. Denn sie zieht dringend
benötigte Expertise von Universitäten und Forschungsinstituten
ab und benachteiligt darüber hinaus eine Altersgruppe in besonderem
Maß. Auch die bisherige Möglichkeit, nach Erreichen der Höchstbeschäftigungsdauer
das Bundesland zu wechseln, um die Kettenvertragsregelung nach dem Arbeitsförderungsgesetz
zu umgehen, ist nicht befriedigend. Stattdessen sollte darauf hingewirkt
werden, daß im Arbeitsförderungsgesetz die wissenschaftliche
Tätigkeit als eine Ausnahme von der Kettenvertragsregel verankert
wird. Unberührt bleibt davon die Möglichkeit, Wissenschaftliche
Mitarbeiterstellen für besondere Aufgaben, bei Engpässen oder
besonderer Qualifikation unbefristet zu besetzen.
Damit werden die Professoren und –innen zur einzigen Gruppe des öffentlichen Dienstes, bei denen nach einer von außen ermittelten individuellen Leistung bezahlt werden soll. Die Frage der Gleichbehandlung stellt sich nicht nur nach außen – gegenüber Verwaltungsbeamten, Richtern, Politikern usw. -, sondern auch nach innen. Die Kriterien, wonach die Leistung ermittelt werden soll, gehören zu den umstrittensten Fragen in der Reformdebatte. Hier soll nur auf eine mögliche Konsequenz hingewiesen werden:
Alle Leistungskriterien, die zur Zeit kursieren, benachteiligen systematisch
die jungen Professoren: Weder werden sie Ämter wie die des Rektors,
des Dekans oder des DFG-Fachgutachters erhalten, noch werden sie – auch
wegen der Befristung ihrer Tätigkeit – Doktoranden in dem Ausmaß
betreuen wie ihre älteren Kollegen oder Drittmittel in ihrer Höhe
einzuwerben, weil die Drittmittelgewährung meist auch dem Kriterium
des Vertrauens folgt: Wer hat, dem wird gegeben. Juniorprofessoren und
-innen haben also gar nicht die Möglichkeit, Leistungszuschläge
in dem Maß zu erhalten, wie ihre älteren Kollegen. Zu Recht
ist die Besoldung, wie sie jetzt vorgeschlagen wird, als eine schleichende
Absenkung der Gehälter kritisiert worden. Das gilt für die Juniorprofessuren
in noch höherem Maße.
Die Juniorprofessur ist nur zukunftsfähig, wenn sie die berufliche Selektion auch tatsächlich nach vorne verlagert; das ist nachhaltig nur durch die Einführung eines Tenure Track möglich; und dieser ist wiederum nur vertretbar, wenn auch Juniorprofessoren mit einem regelrechten Berufungsverfahren von außen berufen werden und sie in ihrer Tätigkeit den zur Weiterqualifizierung notwendigen Freiraum erhalten. Ansonsten wird die Juniorprofessur zu einer Absenkung des wissenschaftlichen Niveaus führen.
Den ganzen Entwurf zeichnet insbesondere die fast völlige Vernachlässigung des jetzigen wissenschaftlichen Nachwuchses aus, ja, es macht fast den Eindruck, als ob dieser mit Absicht aus dem System herausgedrängt werden soll, um so eine radikale Verjüngung zu erreichen. Man kann durchaus argumentieren, daß die Juniorprofessur als Königsweg bereitet werden soll. Dann müssen aber großzügige Übergangsregelungen geschaffen werden für diejenigen, die jetzt die Lehre und Forschung im akademischen Mittelbau tragen und die nicht die Möglichkeit haben, sich auf eine Juniorprofessur zu bewerben, die aber gleichzeitig aller Puffer und Übergangsstellen beraubt werden. Zwingend wäre insbesondere, die C2-Stellen den entfristeten W2-Stellen zuzuschlagen; zwingend wäre die Abschaffung der Beschäftigungshöchstdauer nach § 57; und notwendig wäre die Einrichtung von Förderprofessuren nach dem Muster der Fiebiger-Professuren, um den jetzt in vielen kulturwissenschaflichen Fächern herrschenden Überhang an höchstqualifizierten Wissenschaftlern/innen abzubauen und gleichzeitig diese Altersgruppe der jetzt 30- bis 45-Jährigen in die wissenschaftliche Verantwortung einzubinden.
Weitere Information und unsere Forderungen unter: www.wissenschaftlichernachwuchs.de